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Brigitta Höpler

Räume zwischen Land, Wasser und Himmel, 5. Juni 2019

Das Erkunden, das Ausloten dieser Räume und die künstlerische Umsetzung der gemachten Erfahrungen sind seit langem Anliegen und Arbeitsschwerpunkt von Silvia Grossmann. Auch Inhalt unserer Gespräche, in ihrem Atelier in Wien, in ihrem Haus in Losinj, auf ihrem Boot, im Gasthaus im Hafen von Nerezine. Ein Thema, das auch mich seit langem in meiner Arbeit beschäftigt.

Was lässt einen Raum entstehen und ihn als solchen wahrnehmen? Da ich Kunsthistorikerin und Autorin bin, suche ich abseits physikalischer und mathematischer Faktoren.

Der Philosoph Michel de Certeau denkt in seinem Buch „Die Kunst des Handelns“, dass „Raum ein Geflecht von beweglichen Elementen ist, ein Resultat von Aktivitäten, die ihn mit einer Geschichte verbinden. Dass der Raum insgesamt ein Ort ist, an dem man etwas macht.“

Also entstehen Räume durch Bewegungen, Beziehungen und Handlungen. Sich bewegen, sich bewegen lassen. Als Reisende, als Seglerin, als Künstlerin.

Kunst entsteht in dem Augenblick, in dem sich die Künstlerin mit einem Gegenüber – einer Landschaft, einem Detail, einer Idee, einer Wahrnehmung verbindet, sich auf etwas bezieht. In diesem Bezogen sein verschmelzen Empfangen und künstlerische Umsetzung, berührt werden und berühren, auf sich wirken lassen und wirken, Anschauen und anschaulich machen. Dieses Herstellen von Beziehung ist zugleich eine bewusste Handlung. Lebens- und Werklauf verbinden sich bei Silvia Grossmann im Unterwegs sein über die Lande, über die Meere, durch die Luft.

Als Seglerin ist für Silvia die Kenntnis der Winde, der Wechselwirkungen von Ebbe und Flut, der Unterströmungen, der Tiefen und Untiefen, äußerst wichtig. Dieses Wissen, die gewonnenen Erfahrungen, eine latente Sehnsucht und ein Hingegeben sein an die Weite des Meeres und des Himmels prägen ihre Kunst. Eine Kunst, Verborgenes sichtbar zu machen, beinahe Unsichtbares bildlich darzustellen. Wie der Wind Spuren und Strukturen auf dem Wasser und in den Wolken hinterlässt, das Wasser in den Steinen. Eine Kunstpraxis, den Kategorien der Seefahrt tiefere Bedeutung zu geben.

„Das Meer ist ein Spiegel des Himmels und jeden Tag anders. Nämlich glatt oder gekräuselt oder gewellt oder aufgewühlt. Es verweigerte sich jeder Bestimmung. Ich lernte, seine Wandlungsfähigkeit, seine Unfassbarkeit zu lieben.“ (Ilma Rakusa, Mehr Meer, Seite 71)

Silvia Grossmanns Fotoarbeiten sind zeitlose Momentaufnahmen dieser „wandelbaren Unwandelbarkeit“ des Meeres. Muster und Strukturen, die die Wellen je nach Wind der Wasseroberfläche geben. Fotografische Aufnahmen der Bewegungen am Wasser und am Himmel, des Landes, das mit den Gezeiten auftaucht und wieder verschwindet, und ständig neue Formen hervorbringt. Zentrale Fotoarbeit, eigentlich Fotocollage in dieser Ausstellung ist die Windrose – eine poetische Umsetzung der beim Segeln praktischen Windrose. Sie ist ein grafisches Mittel, um Winde und Windrichtungen, bzw. Himmelsrichtungen darzustellen. Sie dient der genauen Orientierung in der See- und Luftfahrt.

Poetisch meine ich im Sinn einer bestimmten Qualität, die eine Wirkung hat, die über die Sprache, das Sagbare hinaus geht. Und im griechischen Wortursprung, poiesis, etwas erschaffen.

Die Bezeichnung der Kompassrose als Rose hängt mit der oft kunstvollen Ausstattung in früheren Buchmalereien und Karten zusammen. In älteren Quellen wird sie oft auch als stella maris, Stern des Meeres, bezeichnet. Eine Bezeichnung, die auf die innewohnende Verbindung von Himmel und Meer hinweist, wie sie auch die Essenz der Arbeit von Silvia Grossmann ist. Grundlage ihrer Windrose sind die adriatischen Winde Tramuntana, Maestral, Ponenat, Lebic, Ostro, Jugo, Levant und Bura. Diese Winde bedeuten mehr als einen Wetter-, Licht-, Jahreszeitenwechsel, sie haben einen Einfluss auf Stimmungen und Atmosphäre.

„Die Winde sind Wesen. Haben ihre Gebiete, Namen und Wirkweisen.“ „Je mehr Wanderungen und Auswanderungen, desto größer die Zahl der Windbegegnungen. Bei jeder streift mich die Ahnung, dass Ruhe ein Ausnahmezustand ist“. (Ilma Rakusa, Mehr Meer, Seite 318)

 

Brigitta Höpler

 

 

Wo sich das Wasser mit dem Land verbindet Eröffnung der Ausstellung von Silvia Grossmann und Alfred Graf

Es ist mir eine große Freude, diese Ausstellung von Alfred Graf und Silvia Grossmann zu eröffnen, wir arbeiten nicht das erste Mal zusammen. Letztes Jahr habe ich in Silvia Grossmanns Galerie „Atrium ed Arte“ eine Ausstellung von Alfred Graf eröffnet: „Die Welt Stück für Stück – Vielfalt“. Wolfgang Bleier hat in der Ausstellung gelesen. Diesmal ist Silvia auch als Künstlerin beteiligt, ich freue mich sehr, die Arbeiten von Alfred und Silvia zu verbinden, mit Worten zu begleiten.

Eine Ausstellungseröffnung ist immer eine Verbindung zwischen Worten und Bildern. In diesem Fall Bilder und Objekte, deren Qualität unter anderem in der Stille, in der Wortlosigkeit liegt, wie auch in der Natur etwas Stilles, Wortloses, ja Vollkommenes liegt. Trotzdem ist es sehr inspirierend und vergnüglich, Worte und Gedanken zu diesen Kunstwerk zu sammeln, mit Alfred und Silvia darüber zu sprechen, Berührungspunkte zu suchen.

„Wo sich das Wasser mit dem Land verbindet“ da gibt es Berührungspunkte. Zwischen Lebenslauf und Werklauf gibt es Berührungspunkte. Zwischen den an der Ausstellung Beteiligten gibt es Berührungspunkte. Der Ausstellungstitel inspirierte mich zur Suche nach Verbindungen, nach Berührungspunkten.

Ein wesentlicher Berührungspunkt rund um diese Ausstellung ist die Insel Losinj in Nordkroatien, wie auch auf der Einladungscollage zu sehen ist. Sowohl während meiner Aufenthalte in Losinj, wie auch diesen Sommer, als Begleitung zu den Arbeiten von Silvia Grossmann und Alfred Graf, die ich im Kopf mit mir herumgetragen habe, hat mich ein Buch von Claudio Magris begleitet: Microcosmi, auf Deutsch „Die Welt en groß und ein detail“. Ein Titel der nicht unähnlich ist zu „Die Welt Stück für Stüc“. Claudio Magris beschreibt Landschaften, in denen der Kontinent und das Meer aufeinander treffen, und er beschreibt Orte, an denen sich das Wasser mit dem Land verbindet, wenn er über die Lagune zwischen Triest und Grado schreibt, oder über die Absyrtiden, die Inseln der nördlichen Adria, zu denen Losinj gehört.

Mikrowelten haben ihre Entsprechung im Großen, im Sediment liegt der Bauplan eines ganzen Landstrichs“ verborgen“. sagt Alfred Graf. Und Claudio Magris: „Man begegnet dem Grossen im Kleinen, ohne dieses Kleine wäre die große Geschichte inexistent.“ Claudio Magris beschreibt einen Teil seiner Welt, en groß, mit all seinem Wissen um historische Zusammenhänge, um das Ganze, aber mehr noch ein détail. Er entblättert Schicht für Schicht dieser Geschichte, verwoben mit ganz persönlichen Erlebnissen, Erinnerungen, Wahrnehmungen.

Ähnlich das Arbeitsprinzip von Silvia Grossmann und Alfred Graf; „die Welt Stück für Stück“ und „das Meer Stück für Stück“. Bei beiden ist ein Wissen, eine Ahnung um das Ganze zu spüren, so wie eine feinsinnige, genaue Wahrnehmung des Details; ein wissender, ein erinnernder wie zugleich ein unvoreingenommener, weiter Blick. Wissend, in dem der Blick alle gesehenen und erlebten Landschaften enthält, und unvoreingenommen, bereit, sich überraschen zu lassen, als wäre diese Landschaft, dieses Meer, dieser Himmel der erste.

Die amerikanische Malerin Agnes Martin schreibt über die Entstehung von Kunst: „Um Kunstwerke herzustellen, die Empfindungen anregen und Augenblicke der Vollkommenheit erneuern, muß ein Künstler diejenigen Werke erkennen, die seine eigenen Augenblicke der Vollkommenheit darstellen“. Für mich entsteht Kunst in dem Augenblick, in dem sich der Künstler mit dem Gegenüber (eine Landschaft, eine Idee, ein Blick, ein Augenblick, …) verbindet. In diesem Augenblick verschmelzen „empfangen“ und „künstlerische Umsetzung“. Nehmen und Geben. Berührt werden und Berühren. Auf sich wirken lassen und wirken. Anschauen und anschaulich machen. Sich überraschen lassen und überraschen. Fragen und Antworten. – Augenblicke der Vollkommenheit.

Alfred Graf unternimmt lange Wanderungen, Stränden und Flüssen entlang, hinauf in die Berge, durch die Wälder. Er sucht das Konstante, das Bleibende und findet es im Gestein, im Sand. „Lange Wanderungen machen mich immer mehr zu einem Teil der Natur. Schritt für Schritt. Bis in jene Schichten des Seins, in der physische und psychische Übereinstimmung liegt. Dort wo die Essenz des Speziellen ruht, die das Wesentliche wählen lässt“. (Alfred Graf)

Er sammelt Steine, Sand, Muscheln. Findet ganz besondere Farben in der Landschaft, und bindet das flüssige Material mit Baumwolle. Durch diese Methoden entstehen oft ähnliche Strukturen wie in der Landschaft selbst, Ansammlungen, Verdichtungen, Falten, Verwerfungen, - ungewollte und unvorhersehbar. Er nimmt das Material, die Farben aus der Landschaft, und setzt das Bild der Landschaft neu zusammen, Stück für Stück.

In dem Buch „Mehr Meer“ von Ilma Rakusa schreibt die Schriftstellerin von der „wandelbaren Unwandelbarkeit des Meeres“, zu diesem Gedanken hatte ich sofort die Fotografien von Silvia Grossmann im Kopf. Ihr Blick folgt den Mustern die die Wellen dem Sandstrand und der Wasseroberfläche geben, den Wellen, die heranrollen und zurückweichen, dem Land, das mit den Gezeiten auftaucht und wieder verschwindet, dem Himmel, dem Licht, das dem Meer die Farbe gibt.

Als Seglerin braucht sie das Wissen um die Gezeiten, um die Winde, um die wandelbaren Verbindungen zwischen Land und Wasser, um die Tiefen und Untiefen, um die Ankerplätze genauso wie das Hingegebensein an die Weite des Meeres. Vor zwei Tagen, bei einem Besuch in ihrem Atelier hat mir Silvia einen Artikel aus der Zeitschrift „mare“ gegeben, über das Symbol des Ankers, ich möchte gerne ein Zitat daraus vorlesen: „Die symbolische Wirkkraft des Ankers beruht auf der Kombination der Zweiheit von Wasser und Erde. Er steht daher auch für die Verbindung von Unvereinbarem wie Himmel und Meeresgrund, Endlichkeit und Unendlichkeit, Körper und Geist“ (Nicole Hegener)

Im Segeln verbinden sich für mich Lebens- und Werklauf von Silvia.

Manche Fotos bearbeitet sie nach ihren Bildvorstellungen, nach ihren Vorstellungen von Komposition und Farbe. Für viele ihrer Arbeiten müsste der Ausstellungstitel erweitert werden: wo sich das Wasser mit dem Himmel verbindet. In anderen Arbeiten öffnet sie ein Fenster in die Welt unter Wasser.

Uns Betrachtern, Betrachterinnen der Ausstellung wünsche ich, dass wir uns die Kunst von Alfred und Silvia Stück für Stück erschließen, dass wir nicht nur anschauen, sondern erleben (was eine innere Beteiligung voraussetzt); Wiederkennen und Überraschung, und eben dieses „sich verbinden“.

 

Brigitta Höpler

 

 

„Glaube, Hoffnung, Anker“, von Nicole Hegener, in: mare No. 79, April/Mai 201

„Die Welt en groß und en détail“, Claudio Magris, DTV, München, 200

„Mehr Meer – Erinnerungspassagen“, Ilma Rakusa, Literaturverlag Droschl, Graz, 2009

„Writings/Schriften“, Agnes Martin, Cantz, 1991

 

 

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